Namen, Orte und Biografien suchen


Bereits verlegte Stolpersteine



Gustav Heinrich Leo * 1868

Trostbrücke 2–6 (Hamburg-Mitte, Hamburg-Altstadt)


GUSTAV HEINRICH
LEO
JG. 1868
VERHAFTET 1944
KZ FUHLSBÜTTEL
ERMORDET 8.12.1944

Weitere Stolpersteine in Trostbrücke 2–6:
Richard Abraham, Julius Adam, Julius Asch, Georg Blankenstein, Gustav Falkenstein, Ivan Fontheim, Henry Friedenheim, Albert Holländer, Max Israel, Heinrich Mayer, Moritz Nordheim, Kurt Perels, Ernst Moritz Rappolt, Ferdinand Rosenstern, Walter Ludwig Samuel, Salomon Siegmund Schlomer, Ernst Werner, Heinrich Wohlwill, Alfred Wolff

Dr. Gustav Heinrich Leo, geb. 3.5.1868 in Hamburg, gestorben am 8.12.1944 im Krankenhaus Alsterdorf

Eppendorfer Landstraße 58 / Trostbrücke 2–6

Gustav Leo kam als Sohn des einflussreichen Juristen und Senatssyndicus Dr. Karl L. Leo und seiner Frau Franzisca Henriette, geb. Herrmann, in Hamburg zur Welt. Er sollte sich in seiner Heimatstadt einen Namen machen, Zeugnisse seiner Arbeit als Oberbaudirektor finden sich noch heute in vielen Stadtteilen.

Bis März 1887 besuchte er die Gelehrtenschule des Johanneums und nach einem einjährigen Praktikum in der Eisenbahnhauptwerkstatt in Altona studierte er vier Jahre an den Technischen Hochschulen Karlsruhe und Berlin Bauingenieurswissenschaften. Danach war er drei Jahre als Regierungsbauführer für die Bahnhofsumbauten in Altona und Hamburg verantwortlich.1896 legte er seine zweite Hauptprüfung beim Königlich Technischen Prüfungsamt in Berlin ab und trat 1897 als Regierungsbaumeister in den Hamburgischen Staatsdienst ein.

1902 heiratete er Lilli (Caroline) Franzen, die Tochter des Direktors der Hamburg-Südamerikanischen Dampfschifffahrtsgesellschaft. Lilli Franzen war 1883 in Brasilien zur Welt gekommen und hatte ihre Schulzeit in Neubrandenburg und Karlsruhe verbracht. Ihr erstes Kind starb 1903 wenige Wochen nach der Geburt. 1909 kam ihr Sohn Friedrich zur Welt.

Als Abteilungsleiter und Mitarbeiter des Oberbaudirektors Fritz Schumacher wurde Gustav Leo mit der Neuplanung der Alsterkanalisierung beauftragt. Unter seiner Leitung entstanden zahlreiche Brücken, z. B. die Leinpfadbrücke, die erste Eisenbetonbrücke Hamburgs, und die Krugkoppelbrücke. Er leitete die Planung und Ausführung des Stadtparks sowie die Erschließung der nördlichen Randbezirke.

Seit 1920 Baudirektor, wurde Gustav Leo schon drei Jahre später zum Oberbaudirektor des Ingenieurswesens ernannt. Sein Amtsbereich umfasste nun Straßen-, Brücken- und Flussbau, die Kanalisation, die Straßenreinigung und Müllverbrennung, das Verkehrsvermessungswesen, den ingenieurtechnischen Teil des Städtebaus und der Landesplanung. Besonders setzte er sich für die Einführung neuer Straßenbauweisen, eine bessere Anpassung an den zunehmenden Autoverkehr und für die Mechanisierung der Straßenreinigung ein. Unter seiner Leitung sind die Dammtorstraße, der Jungfernstieg und der Rathausmarkt in Verbindung mit den neuen U-Bahnbauten entstanden.

Er schrieb zahlreiche Aufsätze über das Verkehrswesen, den Straßen- und Brückenbau in Zeitschriften wie der "Deutschen Bauzeitung", "Bautechnik" und "Verkehrswesen". Außerdem war Gustav Leo Aufsichtsratsmitglied der Hanseatischen Flughafengesellschaft, Ehrenvorsitzender des Architekten- und Ingenieursvereins zu Hamburg, Vorsitzender des Verbandes zur Verbesserung der Automobilstraßen in Nordwestdeutschland und Mitglied der freien Akademie für Städtebau. 1929 wurde ihm, im Rahmen der Feierlichkeiten zum 25-jährigen Jubiläum der Technischen Universität Danzig, die Würde eines Dr. Ing. ehrenhalber verliehen.

Mit 65 Jahren wurde Gustav Leo am 12. Mai 1933 in den Ruhestand versetzt. Am darauffolgenden Tag berichtete die größte Zeitung der Hansestadt, das "Hamburger Fremdenblatt", noch objektiv über seine Pensionierung und zählte seine großen Verdienste für Hamburg auf, obwohl die Zeitung bereits auf den nationalsozialistischen Kurs eingeschwenkt war.

1935 sollte Gustav Leo dann als Sachverständiger vor Gericht auftreten. Der Regierungspräsident von Lüneburg erkundigte sich über ihn, ob er "Nichtarier ist. Ich bitte, die Ermittlungen vertraulich anzustellen und mir über das Ergebnis bald zu berichten." Die Antwort aus Hamburg lautete: "Da der Oberbaudirektor i. R. Dr. ing. e. h. Leo bereits vor Jahren in den Ruhestand getreten ist, so liegt ein Fragebogen nach Maßgabe des Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums nicht vor. Soviel dem Staatsamt bekannt geworden ist, ist Herr Dr. Leo zu einem Viertel Nichtarier, so dass also von den vier Großelternteilen ein Teil Nichtarier war. J. A."

Ob Leo dennoch als Gutachter bestellt wurde, ist nicht bekannt. 1938 reichte er das Manuskript für ein Buch über William Lindley beim Verein für Hamburgische Geschichte ein. Auf einer Vorstandssitzung desselben Jahres wurde es mit der Begründung abgelehnt, der Autor sei nicht "rein deutschblütig". Nach 1945 gab es kurzzeitig den Plan, das Manuskript als Veröffentlichung des Vereins herauszubringen, dieser wurde aber nicht weiter verfolgt. Erst 1969 wurde sein Buch "William Lindley. Ein Pionier der technischen Hygiene" vom "Arbeitsausschuß der Hamburgischen Bauwirtschaft" herausgegeben. Auf das Schicksal Gustav Leos wurde dabei jedoch nicht eingegangen.

Sohn Friedrich Leo studierte Jura. Er durfte, da er "Mischling 2. Grades" war, nur mit einer Ausnahmegenehmigung die zweite Staatsprüfung ablegen. Aufgrund der fehlenden Aussichten, als Rechtsanwalt tätig werden zu dürfen, brach er den Referendardienst ab. Durch einen Schulfreund, der nach Dänemark emigrierte, bekam er dessen Stelle bei der Korsettfabrik Warner als rechtlicher Sachbearbeiter für Exportangelegenheiten, Devisen- und Kompensationsfragen. Dort arbeitete er, bis er 1940 zur Wehrmacht eingezogen wurde.

In Frankreich stationiert, schickten ihm seine Eltern Geld über die Verwandten von André Chanroux. Chanroux, Sohn von Pariser Freunden, wohnte seit April 1943 bei Lilli und Gustav Leo. Er arbeitete als dienstverpflichteter Techniker bei dem Architekten Distel, der mit der Familie Leo befreundet war. Es war erlaubt, dass Zivilpersonen ihren Verdienst über ihre Arbeitgeber in ihre Heimat sandten, und so schickte Gustav Leo über Distels Firma Geld an seinen Sohn, damit dieser nach dem erhofften baldigen Kriegsende in die Heimat zurückkehren könne. Friedrich wurde mit dem Geld erwischt, nahm aber, um seine Eltern nicht zu belasten, eine Strafe wegen Unterschlagung in Kauf. Er wurde am 9. Juli 1944 verhaftet und im August in das Wehrmachtsuntersuchungsgefängnis Hamburg-Altona gebracht. Bei der Vernehmung durch den Untersuchungsrichter wurde ihm mitgeteilt, das Verfahren sei solange ausgesetzt, bis ein anhängiges Verfahren gegen seine Eltern und ihn wegen staatsfeindlicher Betätigung stattfinden würde. Diese Anklage erfolgte auf der Grundlage des Briefwechsels mit seinen Eltern, der der Gestapo vorlag.

Lilli und Gustav Leo wurden außerdem wegen "Rundfunkverbrechens" angeklagt. Der Hintergrund: Die Familie besaß ein Radio, das ihnen ein Verwandter 1939 aus Amerika mitgebracht hatte. Mit diesem Apparat hörten sie ausländische Musik- und vor allem Nachrichtensendungen. Regelmäßig stellten sie in den Abendstunden englische und russische Sender ein und hörten die "Feindnachrichten" in englischer, französischer und deutscher Sprache.

Gustav Leo wurde während seines Kuraufenthaltes zur Linderung seiner Herzkrankheit am 27. September 1944 in Bad Wiessee verhaftet. Seine Frau war schon am 20. September in Haft genommen worden. Beide wurden im Konzentrationslager Fuhlsbüttel inhaftiert. Lilli Leo wurde am 25. November 1944 ins Untersuchungsgefängnis (UG) Hamburg-Stadt verlegt, Gustav Leo am 4. Dezember. Vorgeworfen wurde ihnen "staatsfeindliche Betätigung in Wort und Schrift und Abhören von Feindsendern in Gemeinschaft mit einem französischen Hausgenossen". Dem 76-jährigen Oberbaudirektor in Rente wurden während seiner Haft notwendige Medikamente gegen sein Herzleiden verweigert. Nach vier Tagen Untersuchungshaft wurde er am 8. Dezember 1944 ins Krankenhaus Alsterdorf verlegt und starb noch am selben Tag.

Bei seiner Festnahme war das Ehepaar Leo getrennt worden und durfte auch danach keinen Kontakt zueinander haben. Selbst am Begräbnis ihres Mannes durfte Lilli Leo nicht teilnehmen. Einen Tag vor Einmarsch der britischen Armee wurde sie aus dem UG entlassen, so dass es nicht mehr zur Eröffnung des Hauptverfahrens vor einem Sondergericht kam.

Friedrich Leo wurde nach neunmonatiger Haft am 2. April 1945 ohne Urteil zum Feldausbildungsregiment Fürstenwalde befohlen. Am 2. Mai kam er in amerikanische Kriegsge­fan­genschaft, aus der er am 13. Juli "bevorzugt" entlassen wurde.

1947 wurde die Straße Rehagen in Hamburg-Eppendorf nach Gustav Leo benannt.

© Maria Koser

Quellen: StaH 131-15 C 277 Senatskanzlei – Personalakten; StaH 351-11 AfW, 5593 Caroline Charlotte Leo, geb. Franzen; StaH 351-11 AfW, 031009 Leo, Friedrich; StaH 242-1 II, Abl. 1998/1, Untersuchungshaftkarten; StaH 741-4 S 11827, "Hamburger Fremdenblatt" Nr. 131 vom 13.5.1933; Grolle/Lorenz in: ZHG, Bd. 93, 2007, S. 54, 55; Diercks, Gedenkbuch, 1987, S. 12, 28, 29; Volz/Tönnies, Reichshandbuch, Bd. 2, 1931, S. 1102; Bardua, Brückenmetropole, 2009; Technische Hochschule Danzig 1904–1929. Bericht der Danziger Neuesten Nachrichten über das Hochschul-Jubiläum Juli 1929, Nachdruck der Gesellschaft der Freunde der Technischen Hochschule Danzig, Hannover 1982, S. 34; Recherche und Auskunft Lars Nebelung, Universitätsarchiv Hannover vom 19.10.2009.

druckansicht  / Seitenanfang